Mit der Gründung des Sindlinger Turnvereins im Jahre 1875 folgten
die Initiatoren einer breiteren Gründungsbewegung, die zu Beginn des
Kaiserreichs auch unsere nähere Umgebung erreichte. Folgende Vereine
wurden in diesem Zeitraum ins Leben gerufen:
1865 Turnerschaft Griesheim
1872 Turn- und Spielvereinigung Schwanheim
1876 TV Niederrad
1877 SG Nied
1878 SG Sossenheim
1885 Turngemeinde Zeilsheim
1887 Turngemeinde Unterliederbach
Lediglich die Gründung der „Turngemeinde Höchst“ (1847) lag
zeitlich deutlich früher.
Damit schlossen die Turner wohl endgültig den Frieden mit dem Staat, der jahrzehntelang die Turnbewegung kritisch begleitet, ja zeitweise sogar verboten hatte.
Die Frühzeit des Turnens
Das Wort „Turnen“ geht bekanntlich auf Friedrich Ludwig Jahn zurück,
der bereits 1811 den ersten Turnplatz auf der Hasenheide in Berlin eröffnete.
Von dort aus verbreiteten sich Idee und Praxis des Turnens als einer besonderen
Form der nationalen und militärischen Erziehung praktisch in allen
Ländern in Deutschland. Träger dieser frühen Nationalbewegung
waren vorwiegend Studenten, sie machten das Jahnsche TURNEN zunächst
an den Universitäten, den Zentren der frühen Turn- und Nationalbewegung,
bekannt.
Mit den grundlegenden politischen Veränderungen nach dem Sieg
über Napoleon (1813) wurde die Nationalbewegung in ihrer Forderung
nach Einheit und Freiheit den wiedererstarkten Fürsten suspekt; in
vielen Ländern des Deutschen Bundes wurde das Turnen verboten (1820
– 1842), auch wenn Pläne zur Einführung einer körperlich-gymnastischen
oder turnerischen Erziehung an den Schulen vorangetrieben wurden.
Dennoch bestanden 1818 in ganz Deutschland ca. 150 Turngesellschaften
mit ca. 12 000 Mitgliedern, davon zwei Drittel in Preußen.
Ein zweite Entfaltungsperiode des Turnens war dann die Vereinsturnbewegung
der 1840er Jahre, besonders in den süddeutschen Ländern. Jetzt
engagierten sich nicht mehr nur Schüler und Studenten, sondern auch
erwachsene Handwerker und Handwerksgesellen. Das Vereinsleben wurde durch
Statuten strenger und bis in Einzelheiten des Privatlebens hinein geregelt,
Als Zweck wurde häufig neben der Entwicklung und Kräftigung der
körperlichen Anlagen auch ein wackerer deutscher Sinn und Reinheit
der Sitten angestrebt. Nur erwachsene Männer konnten als Mitglieder
in die Vereine aufgenommen werden. Alle fühlten sich brüderlich
verbunden und redeten sich – ohne Rücksicht auf Standesunterschiede
- mit „Du“ an.
Mit der Einrichtung privat organisierter „Turnanstalten“ konnte
das Turnen die Zeit der Verbote (1820 – 1842; 1850 – 1860) überstehen.
Immerhin boten diese kommerziellen Turnangebote die Möglichkeit, das
Turnen auch im Winter durchzuführen und die Turner so ständig
zusammenzuhalten. Dadurch entstanden dauerhafte Verbindungen, die Grundlage
späterer Turnvereine.
Um 1870 schwenkten schließlich die Turner auf den Kurs der Regierung
ein. Die Pflege vaterländischer Gesinnung, der sich die Turner ja
seit je verschrieben hatten, konnte mit dem neu geschaffenen, auf nationaler
Einheit fußenden Kaiserreich seinen Frieden schließen.
Andererseits traten zu jener Zeit bereits neue Sportarten auf, die
meist aus England übernommen wurden: Rudern, Eislauf und Radfahren,
bald auch Cricket, Fußball, Tennis und Segeln. Die Turnvereine reagierten
verschieden auf die Herausforderung durch die "Sportbewegung": Diese neue
Form von Leibesübungen war auf den britischen Inseln seit der Mitte
des 18. Jahrhunderts entstanden und hatte in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts auch auf den Kontinent übergegriffen. Die wichtigsten
Merkmale des „Sports“ sind Leistungsprinzip, Konkurrenzdenken und Rekorde,
und vor allem mit letzteren hatten die Turner naturgemäß Schwierigkeiten.
Sie leisteten der Sportbewegung aber auch nationalistischen Gründen
von Anfang an Widerstand und qualifizierten sie teils als „undeutsch“ ab,
teils richteten sie eigene Abteilungen für Schwimmen, „Volkstümliche
Übungen“ (Laufen, Springen, Ger-Wurf, Steinstoß, Ringen) oder
Turnspiele ein. Häufig lösten sich dann aber solche Abteilungen
von ihrem Turnverein und bildeten eigene Sportvereine. Dennoch wurde nach
1870 das Sportangebot deutlich erweitert, was von der „Deutschen Turnerschaft“
(1868 gegründet) energisch bekämpft wurde.
Vor 125 Jahren
Trotz der Gründung der Hoechster Farbwerke in Jahre 1863 hatte
Sindlingen noch eine überwiegend bäuerliche Bevölkerung.
Mit der rapiden Entwicklung der »Rotfabrik« und dem ständigen
Zustrom von Fabrikarbeitern aus allen Teilen des Hessenlandes und dem benachbarten
Bayern wuchs auch die Bevölkerungszahl. Ca. 1000 Einwohner zählte
Sindlingen, als am 18. Juli 1875 14 Bürger (Matthias Sittig, Peter
Sittig, Peter Weiß, Ludwig Weiß, Reinhard Noll, Peter Burckhardt,
Jakob Burckhardt, Johann Huthmacher, Anton Blankenberger, Heinrich Karell,
Franz Karell, Georg Kremer, Peter Noll und Josef Noll) im damaligen „Gasthaus
Adler“ den Turnverein ins Leben riefen. In der Gründungsversammlung
wurde Reinhard Noll zum ersten Vorsitzenden gewählt. Bald danach konnte
mit dem später so erfolgreichen Turner Liesum der erste Turnwart gewonnen
werden.
Aus der Tatsache, dass sich dieser neue Verein „Turnverein“ nannte,
kann man die Abgrenzung zum oben genannten „Sportverein“ herauslesen.
Unter den Gründungsmitgliedern befand sich keine einzige Frau,
obwohl in manchen Großstädten schon in den sechziger Jahren
Frauenabteilungen im Turnen gegründet worden waren. Diese Entwicklung
kam aber nur schleppend voran, denn die Auflösung des konservativen
Frauenbildes verlief nicht ohne Widerstand. Gerade in kirchlich beeinflussten
Gesellschaftsschichten wurde weibliches Turnen auch mit einer – angeblich
gewollten – Zurschaustellung des weiblichen Körpers gleichgesetzt
und war deshalb verpönt.
Die Mitgliederzahl im Sindlinger Turnverein wuchs zwar zunächst
nur langsam, doch konnte bereits am 2. Weihnachtsfeiertag 1875 ein Turnerball
mit turnerischen Vorführungen abgehalten werden. Fast neun Jahrzehnte
lang behielten die Turner den 2. Weihnachtstag für ihren Winterball
bei, und alljährlich war dieser in Sindlingen ein gesellschaftliches
Ereignis.
Als Turnplatz diente zunächst der Hof des Gasthauses „Zum Adler“
(heute Schuhmacherei Moos in der Huthmacherstraße). Leider wurden
die vom Mitglied J. Weiß angefertigten Turngeräte (ein feststehendes
Reck, ein Barren und Kletter- und Sprunggeräte) 1876 durch einen Brand
zerstört. Erst auf wiederholtes Ersuchen wurde dem Verein vom damaligen
Amtsvorsteher in Höchst ein Turnplatz am Main in Verlängerung
der heutigen Zehnthofgasse zugewiesen (ehemaliger „Weidenborn“). Man muss
dabei bedenken. dass das Sindlinger Mainufer zur damaligen Zeit noch nicht
befestigt war!
Trotz des Verlustes der Geräte brachte dieses Jahr die ersten
turnerischen Erfolge. Bei der Einweihung des Turnplatzes in Marxheim am
16. Juli 1876 wurden bei den Wettkämpfen neun Preise errungen. Beim
Schau- und Preisturnen des Main-Taunus-Verbandes erhielt der Turner Reinhard
Noll den 1. Preis .
Neben den sportlichen Aktivitäten wurde durch die alle 14 Tage
stattfindenden Vereinsversammlungen, in denen das Erscheinen aller
Mitglieder Pflicht war, der innere Zusammenhalt des Vereins gestärkt.
Und auch an den zweimal wöchentlich festgesetzten Übungsstunden
durfte kein aktiver Turner unentschuldigt fehlen.
Diese Turnaktivitäten machten auch vor der Schule nicht halt,
sodass bereits im Jahre 1881 unter dem Lehrer Wollweber das Turnen in das
Sindlinger Schulprogramm aufgenommen wurde, ehe 1893 per Erlass für
alle Schulen drei Turnstunden für die männliche Jugend und ab
1905 zwei für die Mädchen vorgeschrieben wurden.
Anlässlich seines zehnjährigen Bestehens führte der
Verein am 16. August 1885 zum ersten Male selbst eine größere
turnerische Veranstaltung durch, an der Turnvereine des damaligen Main-Taunus-Verbandes
teilnahmen. Die Veranstaltung wurde offensichtlich ein großer Erfolg.
Sie trug viel dazu bei, dass die Sindlinger Turner im Heimatbezirk immer
mehr an Ansehen gewannen und vom Turntag des Main-Taunus-Verbandes mit
der Durchführung des 12. Verbandsfestes 1888 beauftragt wurden.
Noch im gleichen Jahre konnte mittels einer erheblichen Spende des
Mitgliedes Anton Schäfer, der dem Verein ein bleibendes Andenken stiften
wollte, eine Fahne (Standarte) angeschafft werden, deren Weihe am 19. Mai
1889 vorgenommen wurde. (Diese Fahne hängt noch heute in einem Schaukasten
im Turnerheim!)
Die bei den Veranstaltungen des Vereins erzielten Überschüsse
wurden zur Beschaffung der zum Turnbetrieb benötigten Geräte
verwendet. Auch zu wohltätigen Zwecken stellte der Verein seine Dienste
stets zur Verfügung. So wurde zum Beispiel 1898 für den Baufonds
des hiesigen katholischen Schwesternhauses ein Turnabend mit anschließendem
Ball arrangiert und ein Erlös von 200 Goldmark erzielt.
Um die Jahrhundertwende
Diese Jahre sind durch ein vielfältiges Vereinsleben im Ort gekennzeichnet.
Der Turnverein hatte aufgrund seiner Turnveranstaltungen, seiner Feste
(meist mit Theateraufführungen verbunden) einen festen Platz im Ortsgeschehen.
Die freundschaftlichen Beziehungen zu den übrigen Vereinen unserer
Gemeinde, vor allem zu den Sängern, wurden mehr und mehr ausgebaut.
So war es nicht verwunderlich, dass die Feier anlässlich des 25jährigen
Bestehens des Turnvereins vom 4. bis 6. August 1900 unter Beteiligung der
gesamten Sindlinger Bevölkerung und vieler befreundeter Nachbarvereine
zu einem wahren Volksfest wurde.
Das 25-jährige Jubiläum des Turnvereins (August 1900)
Nach der feierlichen Weihe der Turnfahne im Mai 1899 feierte der Turnverein
vom 4. – 6. August 1900 sein 25jähriges Jubiläum. „So kommt denn
herbei, werthe Turngenossen aus Nah und Fern, zu unserem Jubelfeste nach
Sindlingen zur Eurer und unserer Freude, der herzlichsten Aufnahme dürft
Ihr versichert sein“. Mit diesen Worten warb der Vorstand zum Besuch
der Feierlichkeiten am Main. Weiter hieß es in etwas pathetischen
Worten: „Wir können Euch versichern, dass Sindlingen eifrigst bemüht
sein und alles aufbieten wird, das Fest zu einem glänzenden zu gestalten,
um Euch den Aufenthalt angenehm und unvergesslich zu machen. Die ganze
Einwohnerschaft unterstützt uns, damit sich das Fest den vorhergegangenen
ebenbürtig zur Seite stellen kann. Der Festplatz ist unmittelbar am
Ort und dem Main schön und schattig gelegen.“
Das Festprogramm war in eine Vor-, Haupt- und Nachfeier unterteilt.
Die Vorfeier begann am Samstag bei eintretender Dunkelheit mit einem Fackelzug
durch die Ortsstraßen, anschließend fand der übliche
Kommers auf den Mainwiesen statt.
Die eigentliche Feier startete dann am Sonntag mit einem Weckruf um
5 Uhr morgens! Zwischen 11 und 12 Uhr spielte eine Militärkapelle,
ehe sich ab 14 Uhr der Festzug durch die Ortsstraßen zum Festplatz
schlängelte. Dort standen dann die Festrede, die Übergabe der
Ausszeichnungen an die Jubilare und ein Schauturnen auf dem Programm. Um
16 Uhr folgte der „Fahnenreigen sämtlicher Festjungfrauen“, der von
einem Konzert und Tanz auf dem Festplatz abgelöst wurde.
Der Tag fand schließlich seinen Höhepunkt mit dem eigentlichen
Festball ab 20 Uhr.
Die Nachfeier folgte dann am Montag, dem 6.8.: Ab 10 Uhr Frühschoppen
und Konzert auf dem Festplatz; nachmittags ab 15 Uhr Zug zum Festplatz,
anschließend Stabreigen, Jugend- und Volksspiele, Konzert und Tanz.
Das „Höchster Kreisblatt“ schrieb am 7. August in seinem redaktionellen
Teil: „Das 25-jährige Stiftungsfest des hiesigen Turnvereins wurde
gestern festlich begangen. Die Häuser des Ortes waren reich geschmückt
und die Straßen zierten Ehrenpforten. An dem Fackelzug am Samstag
Abend betheiligten sich die hiesigen Vereine und bei dem Kommers auf dem
Festplatz wirkten die Gesangvereine neben der Musik der Biebricher Unteroffizierschule
mit. Bei dem Gottesdienst heute Vormittag trugen dieselben ebenfalls zur
Verherrlichung bei. Nach demselben wurden die Gräber der verstorbenen
Mitglieder besucht und Kränze niedergelegt, wobei die Musik Trauerweisen
intonirte. Am Mittag fand Konzert statt. Nachdem die fremden Vereine abgeholt
worden waren, zog der Festzug durch die Ortsstraßen. Auf dem Festplatz
herrschte bald buntes Treiben: Tanzbelustigung, Turnübungen, etc.
Die Festrede hielt Herr Musiklehrer Kreuzer. Sehr schön nahm sich
der Fahnenreigen der Festdamen aus. Diese und der Radfahrerverein hatten
dem festgebenden Verein Fahnenschleifen geschenkt. Der Festball wurde im
„Löwen“ und in der „Krone“ abgehalten. Heute fand ein Volksfest auf
dem Festplatze statt.“
Neben den Gaufesten nahmen die Turner aktiv an den Feldberg-, den Rhönturn-,
den Kreisturnfesten des Mittelrheinkreise” (zu vergleichen in etwa mit
den heutigen Landesturnfesten) und an den Deutschen Turnfesten teil. Das
Übungsangebot für die sportbegeisterte Jugend wurde erweitert.
Neben Ringen, Stemmen und Schwimmen wurde auch das Spiel, vor allem Faustball,
in das turnerische Übungsprogramm aufgenommen. Die 1. Faustballmannschaft
wurde bereits 1910 Gaumeister des Untertaunusgaues.
Ein innerlich gefestigter Verein gab dem Vorstand in den Jahren nach
der Jahrhundertwende die Möglichkeit, seine Mitglieder auch in sozialer
Hinsicht zu betreuen. In den Vereinsstatuten wurde beispielsweise festgelegt,
dass jedem Vereinsangehörigen, der zum Militär einrücken
musste, eine Spende von drei Goldmark zuzuwenden sei. Die Männer,
die ihre Einberufung erhalten hatten, wurden jedes Jahr im September feierlich
vom Verein verabschiedet.
Im Jahre 1909 traf den Verein ein schwerer Verlust. Die zwischen den
alten Pappeln in Verlängerung der Zehnthofgasse errichtete Turnerhütte
wurde bei einem Hochwasser aus der Verankerung gerissen und von den Fluten
samt den darin aufbewahrten Sportgeräten fortgeschwemmt. Durch persönlichen
Einsatz einiger Mitglieder gelang es zwar, Teile der Hütte bei Okriftel
zu bergen, die Sportgeräte waren jedoch fast alle verloren. Der Turnplatz
wurde vorübergehend auf ein Ackergelände, angrenzend an die heutige
Straße „Zur Friedenseiche“, später jedoch wieder zurück
an den Main verlegt, etwas weiter nördlich als der frühere Übungsplatz
in Richtung Farbwerke. Etwa dort, wo sich heute die Böschung zur Farbwerksbrücke
über den Main erhebt, wurde eine neue Turnhütte errichtet.
Um den Ankauf eines eigenen Sportplatzes rechtlich zu ermöglichen,
wurde der Verein aufgrund eines Vorstandsbeschlusses im Jahre 1910 in das
Vereinsregister des Königlichen Amtsgerichtes in Höchst eingetragen.
Vorerst erreichte der Vorstand in Verhandlungen mit dem damaligen Bürgermeisteramt
von Sindlingen, dass der Verein mit seinen Turngeräten 1912 in die
von Dr. Herbert von Meister erbaute Turnhalle der neuen Gemeindeschule,
die später seinen Namen erhielt, einziehen und die Turnstunden hier
durchführen konnte.
Der Ausbruch des 1. Weltkrieges führte zu einer starken Einschränkung
des Turnbetriebes, stärkte aber die soziale Verpflichtung des Vereins.
So beschloss eine Mitgliederversammlung 1914, dem Roten Kreuz und dem Vaterländischen
Frauenverein eine einmalige Spende von 150 Goldmark zu überreichen.
Außerdem sollten die Familien der im Felde stehenden Mitglieder eine
Unterstützung von drei Goldmark erhalten. Über die Nassauische
Landesbank wurde für die 44 eingezogenen Mitglieder eine Versicherung
dahingehend abgeschlossen, dass an die Angehörigen eines im Krieg
gefallenen Mitgliedes ein Betrag von 250 Goldmark ausgezahlt werden sollte.
Die hierfür erforderlichen Versicherungsbeiträge wurden von der
Vereinskasse getragen. Das Vermögen des Vereins bestand hauptsächlich
aus „Deutschen Reichsanleihen“ (1800 Mark bei ca. 2300 Mark Gesamtvermögen).
Im Januar 1915 betrug die Mitgliederzahl 172 Personen. Dieser Stand
hielt sich ziemlich konstant bis 1918. Auch in den Kriegsmonaten wurden
die Monatsversammlungen und Turnübungsstunden durchgeführt. Auf
dem reduzierten Veranstaltungsprogramm standen allerdings nur die Teilnahme
an der Geburtstagsfeier des Kaisers, am Feldbergfest und am Gau-Turntag.
Bei Kriegsende kehrten 21 Vereinsmitglieder nicht mehr in die Heimat zurück.
Ihre Namen wurden später auf einer Gedenktafel festgehalten. Dementsprechend
wurden auf der ersten Jahreshauptversammlung nach Kriegsende sowohl der
gefallenen Mitglieder als auch des verstorbenen Ehrenmitglieds Dr. Herbert
von Meister gedacht. Mit ihm verlor der Verein einen Gönner, der sich
seit seiner Übersiedlung nach Sindlingen sowohl für die Gemeinde
als auch für die Vereine sehr stark eingesetzt hatte.
Nach dem 1. Weltkrieg
Der Wiederaufbau des Vereins vollzog sich relativ schnell. Ende 1919
zählte er bereits wieder 98 aktive, 58 passive und 7 Ehrenmitglieder.
Hinzu kamen noch 45 Zöglinge, also 208 Turner insgesamt. Im
Laufe des Jahres wurde durch die Initiative der Turnwarte Jakob Henrich
und Philipp Becker dem Verein eine Schülerabteilung angegliedert.
Henrich war es auch, der sich in den folgenden Jahren für die Gründung
einer Turnerinnen- und Schülerinnen - Abteilung einsetzte, die im
Februar des Jahres 1922 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
Bei der ersten Teilnahme am Gau-Turnfest in Weilbach erreichte Frauka Nägler
für die Sindlinger Fahnen den 3. Platz!
Folgende Vorstandsmitglieder übernahmen die Vereinsgeschicke nach
dem 1. Weltkrieg:
1. Vorsitzender: Heinrich Hess
2. Vorsitzender: Andreas Reitz
1. Schriftführer: Friedrich Dollase
2. Schriftführer: Anton Glatt
1. Kassierer: Peter Neuser
2. Kassierer: Leonhard Kremer
1. Turnwart: Johann Henrich
2. Turnwart: Georg Burkardt
Vorturner: J. Hedtler und. Ph. Ihl
1. Spielwart: Lorenz Hescher
2. Spielwart: Karl Schäfer
Zeugwart: Th. Sittig
Auch das Faustballspiel war bereits 1919 wieder erfolgreich aufgenommen
worden: 1921 erreichten die Spieler zum zweiten Male die Gaumeister-Meisterschaft.
Als Anfang der zwanziger Jahre das Handballspiel populär wurde, war
der Verein einer der ersten, der bereits Ende 1922 eine Handballabteilung
ins Leben rief, die sich schon 1923 an den ersten Verbandsspielen im Rahmen
des Untertaunusgaues beteiligte. Trikots konnten aber wohl erst 1924 angeschafft
werden.
In den Jahren 1920 bis 1925 erlebte der Turnverein eine neue Blütezeit.
Besonders in turnerischer Hinsicht ging die Erfolgskurve steil nach oben.
Auf allen Gaufesten belegten Sindlinger Turner erste Plätze. Namen
wie J. Hedtler, G. Burkhardt, Ph. Becker, Ph. Ihl, J. Henrich, A. Distel,
A. Best, R. Weigand und W. Dobislav standen für zahlreiche Erfolge
im Kreis. Erfreulicherweise trat auch die Jugend des Vereins mehr
und mehr in den Vordergrund und stellte sich in ihren Leistungen mit an
die Spitze im Turngau. Neben der turnerischen Arbeit wurde auch das Wettschwimmen
mit Erfolg betrieben: Beim Gauturnfest in Flörsheim (1920) trugen
sich Jos. Schäfer, A. Reitz, W. Eisen, J. Sittig, H. Weiß und
J. Weigand in die Siegerlisten der Oberstufe ein. In der Unterstufe findet
man die Namen von J. Best, J. Schwickert, K. Eisen, A. Distel, O. Brunnhöfer,
K. Mann und A. Vogt.
Neben den sportlichen Aktivitäten sorgten auch Trommler und Pfeifer
dafür, dass man vom Turnverein im wahrsten Sinne des Wortes hörte.
Die Jahresaktivitäten nach dem Ersten Weltkrieg sahen häufig
folgendermaßen aus (hier das Jahr 1921):
- 24 Mitgliederversammlungen
- Teilnahme am Feldbergfest (Abfahrt morgens gegen 5 Uhr!)
- 1 Familienfeier (meist von der Kapelle Westenberger gestaltet)
- 1 Weihnachtsball am 2. Feiertag mit Theaterstücken und Couplets
(Generalprobe jeweils am 1. Feiertag!)
- Tanz am Fastnacht-Samstag
- 1 Preisschießen (1. Preis: 1 Gans; 2. Preis: 1 Ente; 3. Preis:
1 Hase; 4. Preis: 1 Hahn; 5. Preis: 1 Schwartenmagen; 6. Preis: 12 Eier)
- 1 „volkstümliches Wettturnen“ (mit Tanz)
- Teilnahme am Kreisturntag (z.B. Aschaffenburg)
- Teilnahme am Gauturntag
- Gauwanderung (an Christi Himmelfahrt) mit Wettkämpfen
- Teilnahme an den Reichsjugendkämpfen
- „Abturnen“ mit folgenden Aufgaben:
-- Schüler: Übungen an Reck – Barren – Pferd und Freiübung
-- Zöglinge: an 2 Geräten jeweils Pflicht und Kür, Freiübungen,
Freiweit, Freihoch und Kugelstoßen
-- Aktive: Schauturnen
-- Altersriege: Schauturnen
anschließend: Ausklang im Vereinslokal „Zur Krone“
Damit fanden auch mehr und mehr die „volkstümlichen Disziplinen“
Eingang in das Turngeschehen: Stabhoch, Freihoch, Freiweit, Kugelstoßen,
50 und 100 m Lauf, Speer, Diskus, Schleuderball.
Auch das „Abturnen“ wurde durch die Verbindung mit der Durchführung
der Vereismeisterschaften aufgewertet, zumal der dazu geschaffene gesellschaftliche
Rahmen (Tanz im Vereinslokal) Anreize bot.
Andererseits waren die Trainingsmöglichkeiten in den unmittelbaren
Nachkriegsjahren durch Platzprobleme eingeschränkt. Es standen der
Schulhof, die Turnhalle und der sog. „Juxplatz“ zur Verfügung, den
man aber mit dem Fußballverein „Viktoria“ teilen musste. 1923 wurde
eine Regelung gefunden: Der Turnverein konnte den Platz montags, donnerstags
und samstags nutzen. Dafür erhielt die Viktoria 1000 RM pro Spiel
(Inflationszeit), der Eintritt für ein Handballspiel lag bei 100 RM.
50 Jahre Turnverein
Vom 27. – 29. Juni 1925 stand Sindlingen ganz im Zeichen des Fests zum
50-jährigen Jubiläum des Turnvereins, verbunden mit einem Gau-Turnfest
des Untertaunus – Gaues. Damit wurden langwierige Vorbereitungen abgeschlossen,
die bereits im Januar 1924 mit der Konstituierung der einzelnen Arbeitsausschüsse
in Angriff genommen worden waren. Die Wirtschafts-, Bau-, Finanz-, Empfangs-
und Festausschüsse nahmen ihre Arbeit auf, die bis ins letzte Detail
die Festabfolge vorbereiteten. So erhielt z.B. jeder eingeladene Verein
einen Fragebogen zugesandt, in dem nach der Zahl der Teilnehmer, der Art
der Anreise (Bahn, Wagen,Fuß), der Anzahl der benötigten Quartiere
für Menschen und Stallungen für Pferde gefragt wurde.
Die Festleitung hatten Andreas Reitz (1. Vorsitzender), Josef Schmitt
(Ehren-Turnwart), Heinrich Hess (Schriftführer), Jakob Henrich (1.
Turnwart), Peter Neuser (1. Kassenwart), Georg Burkardt (2. Turnwart) und
andere in den Händen.
Kurz vor dem eigentlichen Fest wurde dann noch binnen weniger Wochen
ein Ehrenausschuss ins Leben gerufen, der einige Sindlinger Honoratioren
umfasste: u.a. Frau von Meister, die Pfarrer Steinmetz und Weber, der Ortsvorsteher
Müller, der Arzt Dr. Weber, Rektor Althen, usw.
Als Vorfeier führte der Turnverein am 22. März das Festspiel
„Die Entstehung der Leibesübungen“ im Saalbau „Zur Krone“ auf. Das
Programm bestand in einem Längsschnitt zur Geschichte des Turnens.
So wurden aus der „Griechenzeit“ die „Olympischen Spiele“ als lebendes
Bild und ein „Reigen der Griechinnen“ vorgestellt, ehe aus der „Römerzeit“
ein Gladiatorenkampf und aus der „Germanenzeit“ die „Schlacht im Teutoburger
Wald“ folgten. Mit einem Laufreigen der Jahn’schen Zöglinge und der
Verhaftung Jahns endete der 1. Teil, ehe nach einer Pause das „Turnen der
Jetztzeit“ incl. einer Huldigung Jahns präsentiert wurde.
Am 21. Juni 1925 wurden die Feierlichkeiten mit einer Gedenkfeier
für die verstorbenen und gefallenen Mitglieder des Vereins um 10 Uhr
in der evangelischen und in der katholischen Kirche fortgesetzt. Anschließend
zog man auf den Friedhof zur Gedenkfeier, wo die Ortsgeistlichen jeweils
eine Ansprache hielten.
Am Samstag, dem 27. Juni standen dann auch die ersten sportlichen
Wettkämpfe auf dem Programm. Um 17 Uhr wurde das Gau-Wettschwimmen
im Main gestartet, bevor am Abend am 20 Uhr ein bunter Kommers folgte,
bei dem der damalige Vorsitzende Andreas Reitz die noch lebenden Gründer
des Vereins ehrte: Reinhard Noll, Matthias Sittig, Peter Sittig, Peter
und Ludwig Weiss, Georg Kremer und Franz Karell. Insgesamt 19 Programmpunkte
wurden dabei absolviert, eine Mischung aus Musik, Reden und sportlichen
Darbietungen der Radfahrer, Schwimmer und Turner.
Am nächsten Tag waren dann fast alle Sindlinger Vereine an den
Festlichkeiten beteiligt: Insgesamt 24 Orts-Vereine (ca. 200 Personen)
präsentierten sich bei dem Festzug am Sonntag, gefolgt von ca. 25
befreundeten Turnvereinen (ca. 350 Personen) aus der Region. Die meisten
heimischen Vereine (z.B. Radfahrer-Verein „Germania“, die Gesang- und Sortvereine)
existieren noch heute, andere haben sich dagegen vor etlichen Jahren schon
aufgelöst (z.B. der Athletik-Sportklub, der Amateuer-Photographen-Verein,
der Brieftauben-Klub, die „Humoristischen Musikgesellschaften „Heiterkeit“
und „Fidelio). Der Festzug nahm folgenden Verlauf: Vom Bahnhof durch die
Bahnstraße, Hofheimerstraße (heute Westenbergerstraße)
, Meisterstraße, Mainzer Landstraße (Farbenstr.), Schulstraße
(Allesinastraße) , Okriftelerstraße, Verbindungsstraße
(Horles), Weinbergstraße, Hauptstraße (Huthmacherstraße)
, Neugasse (Alt-Sindlingen) zum Festplatz. Dabei bildete dieser Zug nur
einen von zahlreichen Höhepunkten, die diese Festtage schmückten.
Der Sonntag begann bereits um 5 Uhr in der Frühe mit einem musikalischen
Weckruf, ehe um 7 Uhr der Zwölfkampf und das Jugendturnen auf dem
Festplatz am Main stattfanden. Um 10 Uhr folgten dann die Altersturner
und die Turnerinnen. Ab 13.30 Uhr zog sich dann der oben erwähnte
Festzug durch die Sindlinger Straßen, bevor im Anschluss daran sich
weitere Turnübungen der Volksturner und Gauriegen auf dem Festplatz
anschlossen. Nach dem Sport endete dieser Tag mit einem Volksfest mit Tanz.
Auch der Montag war noch ganz dem Vereinsfest gewidmet: ab 9 Uhr der
musikalische Frühschoppen mit dem Turnen der Altersriege, am Nachmittag
dann ein Kinderfestzug von der Turnhalle zu Festplatz. Dort waren Spiele
für die Jugend vorbereitet.
Das Gauturnfest wurde auch zu einem großen finanziellen Erfolg, der es dem Verein gestattete, nun endlich an die Realisierung seines lange gehegten Planes, nämlich an die Beschaffung eines eigenen Turnplatzes zu denken. Durch die gelungene Aufbauarbeit der Turnwarte Jakob Henrich und Philipp Becker waren die Jugend- und Schülerabteilung so stark angewachsen, dass der Turnplatz am Main den Anforderungen längst nicht mehr genügte. Nach langem Suchen konnte an der Farbenstraße ein Grundstück von etwa 2200 Quadratmetern Größe gekauft werden. Von dem Kaufpreis von 11000 Goldmark konnte man nur etwa 4000 Mark bar bezahlen, der Rest musste als Darlehen finanziert werden. Der Initiative des leider allzufrüh verstorbenen Turnbruders Peter Neuser war es zu danken, dass dieser Betrag aufgebracht und darüber hinaus ein schmuckes Turnerheim erstellt werden konnte. Hierbei haben sich insbesondere die Turnbrüder Erich Fuhrmann, Fritz Reitz, Emil Stiehl und Julius Best hervorgetan.
Die Zuspitzung der politischen Verhältnisse in Deutschland führte
1933 zur »Machtübernahme«. Gemäß der Doktrin
des Nationalsozialismus wurden die Vereine gleichgeschaltet und Mitglied
im neu entstandenen, vom Reichssportführer zentral geleiteten „Deutschen
Reichsbund für Leibesübungen (DRL)“, der 1938 in „Nationalsozialistischer
Reichsbund für Leibesübungen“ umbenannt wurde. Auch im Turnverein
ging das Vereinsleben immer mehr zurück. 1935 kam es noch einmal zu
einem kurzen Aufflackern. Im Zuge der Gleichschaltung war der Turnverein
aus dem Untertaunusgau herausgenommen und dem Kreis Frankfurt angegliedert
worden. Anlässlich des 60jährigen Bestehens wurde der Verein
mit der Durchführung des Jugendturnfestes des Kreises Frankfurt beauftragt.
Mehr als 2000 Jungen und Mädchen maßen sich im Wettkampf auf
dem Festplatz am Main. Mit dem Junioren Karl Wolpert konnte der TVS im
Geräteturnen den 2. Sieger und mit Karl Kreher im leichtathletischen
Dreikampf unter stärkster Beteiligung den 3. Sieger stellen.
Der Hitlerstaat gliederte das Sportwesen konsequent in sein politisches
System ein und schaltete es gleich. Turnen und Sport bekamen in der nationalsozialistischen
Ideologie eine Schlüsselposition, die durch eine neue Struktur und
einen erweiterten Stellenwert gekennzeichnet war. Kämpferische Charaktereigenschaften
wie Mut, Härte, Willensstärke, Disziplin, Gemeinschaftsbewusstsein
und Durchsetzungsvermögen wurden als Zielsetzungen überhöht,
um die männliche Jugend auf den Krieg vorzubereiten. Ähnliche
Motive galten auch für die Mädchen und Frauen, die durch planmäßige
Körperertüchtigung zu gesunden, widerstandsfähigen und gebärfreudigen
Müttern geformt werden sollten.
Die folgenden zehn Jahre waren gekennzeichnet durch den allmählichen
Niedergang im Vereinsleben, das schließlich mit dem Ausbruch des
Zweiten Weltkrieges zum völligen Zusammenbruch kam.
Die Freie Turnerschaft Sindlingen
Parallel zum „Deutschen Turner-Bund“ entwickelte sich ab dem Jahre
1893 der „Arbeiter-Turnbund“ (ATB), der sich als Dachverband der Arbeiterturnvereine
verstand. Auch in unserem Heimatbezirk wurden vielerorts Arbeiterturnvereine
ins Leben gerufen. In unserer Gemeinde waren es die Gebrüder Berschneider,
Jakob Nied und Hans Weber, die 1910 im Gasthaus „Zur Eisenbahn“ die „Freie
Turnerschaft Sindlingen“ gründeten. Zum ersten Vorsitzenden wurde
Hans Weber gewählt, der dieses Amt bis zum Jahre 1925 innehatte. Der
Verein erhielt schon in den ersten Jahren starken Zustrom sowohl sportbegeisterter
als auch politisch interessierter Mitbürger. Mit Beginn des Ersten
Weltkrieges kam auch in der Freien Turnerschaft das Vereinsleben völlig
zum Erliegen. Am Ende des Krieges konnte Hans Weber zusammen mit seinen
Mitarbeitern Jakob Nied, Hermann Gebhardt und den Gebrüdern Bocklet
einen raschen Wiederaufbau des Vereins vollziehen. Der Turnbetrieb wickelte
sich vorwiegend in der Turnhalle der Meisterschule ab. Mit dem Sportplatz
am Main, der mit dem städtischen Gesundheitsplatz gekoppelt war, stand
ihm vor allem für den leichtathletischen Übungsbetrieb eine weitere
gute Trainingsstätte zur Verfügung. Ausgezeichnete Turner und
Leichtathleten sind aus den Reihen der Sindlinger Freien Turner hervorgegangen:
Jakob Nied, Alfred Bocklet, Hans Pfahler und Willi Kummer im Geräteturnen
und Georg Stern, Willi Nestrachil und Fritz Streicher in der Leichtathletik
waren Namen, die in sportlich interessierten Kreisen überall nur mit
großer Hochachtung genannt wurden. Darüber hinaus verfügte
der Verein über eine leistungsstarke Turnerinnenabteilung, in der
sich vor allem Leni Nied, Hedi Maleika, Mariechen Schipper und die Schwestern
Mariechen und Milchen Weiland durch ihr großes Können hervortaten.
Durch die Initiative von Hans Bocklet, der 1926 zum 1. Vorsitzenden
gewählt worden war, konnten die Freien Turner 1927 aus eigenen Mitteln
und mit städtischen Zuschüssen neue Turngeräte anschaffen.
Dies trug sehr zur Leistungssteigerung der Aktiven bei.
Der Anfang der zwanziger Jahre aufgestellte 18 Mann starke Spielmannszug
erreichte unter der vorzüglichen Stabführung von Herrn Hofmann,
Sossenheim, ein hohes Niveau. Seine musikalischen Darbietungen anlässlich
der Einweihung des Frankfurter Waldstadions im Jahre 1925 wurden mit rauschendem
Beifall bedacht.
Höhepunkte im Vereinsleben der Freien Turnerschaft waren die Teilnahme
am Bundesfest des Arbeiter-Turn- und Sportbundes 1928 in Nürnberg,
wo die 45 Mitglieder starke Delegation gute sportliche Erfolge erringen
konnte, und ein Jahr später die Beteiligung an der Arbeiter-Olympiade
in Wien. Auch hier war der Verein mit einer fast ebenso starken Abordnung
vertreten. Beide Ereignisse trugen viel zum zahlenmäßigen Anwachsen
und zur Festigung der familiären Bindungen in der Gemeinschaft der
Freien Turner bei.
1929 wurde eine Handballabteilung gegründet. Da es sich bei den
Spielern fast ausnahmslos um bisherige gute Leichtathleten handelte, konnten
bald zwei sehr leistungsstarke Mannschaften aufgestellt werden, die im
heimischen Handball eine sehr gute Rolle spielten. Der stetige Aufschwung
in allen Bereichen des sportlichen und geselligen Lebens im Verein wurde
1933 jäh unterbrochen. Wie alle Vereine des Arbeiter-Turn- und Sportbundes
wurde auch die Freie Turnerschaft als Gegner des Regimes aufgelöst.
Die vorhandenen Geräte wurden von den Behörden dem „Turnverein
1875“ und dem Zeilsheimer Athletik-Sportklub in Verwahrung gegeben. Alle
Schriftberichte, Kassenbücher und wichtige Dokumente, die uns heute
noch weitere Einzelheiten über das Vereinsgeschehen von 1910 bis 1933
geben könnten, wurden aus begreiflichen Gründen vernichtet.
Von den Mitgliedern entschloss sich ein Großteil zum „Turnverein
1875 Sindlingen“ überzutreten.
Der gemeinsame Weg nach 1945
Das Ende des Zweiten Weltkrieges hatte mit dem totalen politischen und
gesellschaftlichen Zusammenbruch auch jegliches Vereinsleben völlig
ausgelöscht. Erst allmählich wurde der Ruf nach neuer turnerischer
und sportlicher Betätigung wieder laut. Ende 1945 taten sich Angehörige
des ehemaligen Turnvereins und der früheren Freien Turnerschaft in
unserer Gemeinde zusammen, um das turnerische und sportliche Leben wieder
in Gang zu bringen. Andreas Reitz, Philipp Becker, Alfred Bocklet und Hermann
Gebhardt ist es vor allem zu danken, dass bald wieder ein geregelter Übungsbetrieb
durchgeführt werden konnte.
1946 hatte man die Vereinstätigkeit als Abteilung Turnen, Leichtathletik
und Handball im Rahmen der neu gegründeten „Sportgemeinde Sindlingen“
wieder aufgenommen, da nach Kriegsende zunächst alle Turnvereine von
den Besatzungsmächten verboten worden waren. Alle Sport treibenden
Sindlinger Vereine (neben dem „Turnverein“ noch der Fußballclub „Viktoria“,
der Kanuclub „Romer“, der Radfahrerverein „Germania“ und der 1. Sindlinger
Schwimmclub) hatten sich als Abteilungen in der „Sportgemeinde“ zusammengeschlossen.
Durch den Vorstand der SG waren unter Leitung des damaligen 1. Vorsitzenden
Johann Sittig Satzungen ausgearbeitet worden, die zum Ziele hatten, künftig
die Abteilungen der SG zwar unter ihren früheren Vereinsnamen zu führen,
die Sportgemeinde selbst jedoch in das Vereinsregister eintragen zu lassen.
Bei einer Abstimmung über diese Satzungen kam es im Frühjahr
1950 zu heftigen Auseinandersetzungen. Von verschiedenen Mitgliedern wurde
die sofortige Loslösung aus der SG und die völlige Selbständigkeit
im Rahmen des ehemaligen Turnvereins 1875 gefordert. Die Mehrzahl der Mitglieder
entschied sich dafür, zwar in der Sportgemeinde zu verbleiben, zumal
sich die seitherige Zusammenarbeit als sehr fruchtbringend erwiesen hatte,
die Eintragung der SG jedoch zu verhindern und statt dessen für den
Turnverein neue Satzungen zu erstellen und ihn unter seinem alten Namen
in das Vereinsregister aufnehmen zu lassen. Vor allem ging es darum, eine
Aufspaltung des Vereins in die beiden früheren der DT beziehungsweise
dem ATUS angehörigen Vereine zu verhindern. Leider erklärten
daraufhin einige alte, sehr verdienstvolle Mitglieder ihren Austritt.
Trotz dieser Krise und der gesellschaftlichen Verwerfungen nach dem
2. Weltkrieg brachte das Jubiläumsjahr 1950 einen beachtlichen Aufschwung.
In einem Einladungsschreiben zum 75. Geburtstag des Vereins, der vom 22.
bis 24.7.1950 gefeiert wurde, brachte der Vorsitzende Reitz das Selbstverständnis
der damaligen Vereinsführung auf den Punkt: „Es ist nicht an der Zeit,
rauschende Feste zu feiern, die allgemeine Not nach diesem unseligen Krieg
ist dafür zu groß. Wir haben heute aber eine doppelte Verpflichtung:
das übernommene Erbe weiterauszubauen und einer in Kriegs- und Nachkriegsjahren
haltlos gewordenen Jugend Weg und Richtung zu weisen.“ Das Fest selbst
wird den Beteiligten immer in Erinnerung bleiben. Wie in früheren
Jahren nahmen die Sindlinger Mitbürger, vor allem die Gesangvereine
und die Sportler, an dem Ereignis regen Anteil. Die von den Jubiläumsveranstaltungen
ausgehenden Impulse brachten eine Belebung in allen Bereichen des Vereinslebens.
Das Fest zum 75-jährigen Jubiläum
Das Vereinslokal „Zur Krone“ war bis auf den letzten Platz besetzt,
als der Vorsitzende Andreas Reitz die Gäste beim Festkommers anlässlich
des 75-jährigen Vereinsjubiläums am 22. Juli 1950 begrüßte.
Umrahmt von musikalischen Beiträgen der „Meenzerhofgesellschaft“,
der „Germania“, der „Sängerlust“ und des Sängerquartetts „Arion“,
des Harmonikaklubs und der Kapelle „Rhythmus“ zeigten sowohl Mitglieder
des Turnvereins als auch des Radfahrervereins „Germania“ Teile ihres sportlichen
Könnens. Hans Kowald (Hessischer Turnverband), Hans Geroldstein (Turnkreis
Frankfurt) und Stadtrat Brisbois (in Vertretung des verhinderten Oberbürgermeisters
Kolb) hielten die Festreden, in denen die „ruhmreiche Tradition der Sindlinger
Turner“ (so das HK am 24.7.50) herausgestellt wurde. Als Jubilare wurden
gefeiert: Andreas Nägler und Johann Blisch (50 Jahre Mitgliedschaft),
Jakob Henrich, Georg Burkhardt, Lorenz Hescher und Andreas Reitz (40 Jahre).
Die sportlichen Aktivitäten beschränkten sich auf ein Faustball-
und ein Handballturnier, die am Sonntag (23. Juli 50) auf dem Sportplatz
am Main ausgetragen wurden. Trotz ungünstiger Witterung konnten die
Wettbewerbe planmäßig durchgeführt werden. Auf vier Feldern
wurde am Vormittag in 2 Gruppen Faustball gespielt (jeweils zweimal
15 Minuten). Lorsbach siegte schließlich souverän gegen Nied.
Beim Handball (nach Hallenregeln) siegte Hattersheim mit 4:1 über
Grünweiß Frankfurt. Die Veranstaltung wurde durch turnerische
Einlagen und ein Lehrspiel der Kelkheimer Faustballer aufgelockert.
Der Tag schloss mit einem Festball im Vereinslokal „Zur Krone“. Bis
2 Uhr morgens wurde getanzt, ehe sich am folgenden Morgen der Frühschoppen
anschloss. Am Nachmittag wurde das Fest mit einem volkstümlichen Nachmittag
auf dem Sportplatz fortgesetzt: ein Kinderfest mit Eierlauf, Sackhüpfen
und Wurstschnappen einerseits, andererseits ein Faustballtraditionsspiel
mit Johann Sittig, Andreas Reitz, Heinrich Krämer, Anton Glatt, Philipp
Becker, Adam Reitz, Fritz Reitz, Fritz Stein, Eisen, Karl Wehner und Alois
Distel. Die Mannschaften trennten sich 29:29 unentschieden; damit blieb
die Feststimmung sicherlich ungetrübt!
Die Damen des Vereins trafen sich unterdessen zu „lustigen Gymnasitikübungen“,
ehe das Fest abends in der „Krone“ gemeinsam ausklang.
Die detaillierte Abrechnung dieses Fests ergab dann einen erfreulichen Einnahmeüberschuss von 1883 DM (2784 DM Einnahmen, davon 2190 DM Spenden und Ehrenausschuss; 901 DM Ausgaben).
Noch im Jahre 1950 erweiterte sich das Vereinsangebot durch die Gründung
einer Tischtennisabteilung. Eine im Januar 1952 ins Leben gerufene Frauengymnastikabteilung
bekam so starken Zulauf, dass der Übungsraum bald zu klein wurde.
Aber auch das Leid blieb dem Verein nicht erspart. Nach langer Krankheit
verstarb Andreas Reitz, der sich jahrzehntelang, sei es als 1. Kassierer,
sei es später als 1. Vorsitzender große Verdienste um den Verein
erworben hatte. Im Dezember 1951 wurde er unter starker Anteilnahme aus
allen Kreisen der Sindlinger Bevölkerung zu Grabe getragen. Sein Amt
war bereits in der Jahreshauptversammlung im April 1951 dem bisherigen
1. Schriftführer Karl Faulstich übertragen worden. Ihm standen
zur Seite:
2. Vorsitzender: Hans Scheh
Oberturnwart Philipp Becker (bis 1956)
Abteilungsleiter Handball: Karl Wehner
Jugendwart: Willi Debus, ab 1953 Adam Schieferstein, 1955 Herbert Bacher
Das in den Nachkriegsjahren verwüstete Turnerheim an der Farbenstraße
wurde in den Jahren 1951/52 von der Handballabteilung unter der Leitung
von Karl Wehner renoviert und wieder funktionsfähig gemacht. Am Totensonntag
des Jahres 1952 errichtete der Verein auf dem Turnplatz an der Farbenstraße
ein Ehrenmal. Dabei handelt es sich um einen riesigen Findling aus dem
Taunus mit einer den Toten des Vereins gewidmeten Gedenktafel aus Kupfer.
Fritz Reitz übernahm dafür die gärtnerische Einbindung.
Im gleichen Jahr gab sich der Verein auch ein neues Wappen: der „Sindlinger
Kreppert“ auf goldenem Grund mit roter Umrandung kennzeichnete die Sindlinger
Turner.
Die Protokolle der fünfziger Jahre durchzieht die Klage über
die „Passivität der Jugendlichen“: Finanzielle Einbrüche bei
Fastnachtsveranstaltungen, geringe Teilnahme an Mitgliederversammlungen.
(Mitgliederzahl ca. 380) „Wir müssen wohl oder übel mit der Zeit
gehen und uns mit der Gegenwart abfinden, die jeglichem Vereinsleben große
Widerstände entgegensetzt. Die Interessenlosigkeit ist eben eine Zeiterscheinung.“
(Karl Faulstich auf der JHV 1954). Dabei sah der Vorsitzende zwingenden
Erneuerungsbedarf gerade bei den Turnern: „Wir haben bisher immer noch
zu sehr an der Form des starren Geräteturnerns festgehalten. Die Turnstunden
müssen noch mehr aufgelockert werden, noch mehr Spiel und Bewegung
müssen eingeschaltet werden.“
Die Instandhaltung des Turnplatzes wurde von Jahr zu Jahr schwieriger
und kostspieliger. Immer wieder wurden das Dach, Fenster und Türen
und die gesamte Inneneinrichtung durch Unbekannte demoliert. Das Vereinsleben
wurde aber außerdem auch durch Schließung der Säle in
den Gaststätten empfindlich gestört: 1957 schloss mit dem „Mainzer
Hof“ die letzte noch in Sindlingen verbliebene Gaststätte mit einem
geräumigen Saal ihre Pforten. Damit war für größere
Vereinsveranstaltungen kein Raum mehr vorhanden. So betonte Karl Faulstich
auch bei der Grundsteinlegung des „Bürgergemeinschaftshauses“ am 1.
Oktober 1960: „Es besteht kein Zweifel darüber, dass die Raumnot in
Sindlingen die Entwicklung unserer Vereine stark gehemmt hat. Fast alle
großen traditionellen Veranstaltungen unserer Vereine sind ihr zum
Opfer gefallen, das gesamte kulturelle Leben in unserer Gemeinde hat unter
ihr gelitten. Umso mehr sind wir dem Bauverein zum Dank verpflichtet, dass
er sich die Hauptsorge der Sindlinger Vereine zueigen gemacht hat und mit
der Errichtung dieses Bürgergemeinschaftshauses die Möglichkeit
schafft, dass sich die Vereine wieder frei entfalten können.“ Aber
schon wenige Jahre nach der Einweihung (1962) klagte die „Saalbau GmbH“,
dass „von den zahlreichen Vereinen und Organisationen bislang nur wenige
echten Gebrauch von dieser Einrichtung gemacht haben.“ Das Haus konnte
auf geselligem Bereich die Hoffnungen nicht erfüllen. Dabei unternahm
die Vereinsführung durchaus Versuche, sich in diesem Bürgergemeinschaftshaus
zu engagieren. Aber die gemeinsamen Kostümfeste von Karneval- und
Turnverein, die sog. „KATU TUKA-Bälle“ (ab 1978) fanden in der Bevölkerung
nicht die erwartete Resonanz, so dass sie bald wieder aus dem Programm
genommen wurden.
Dem mit den Jahren auf rund 400 Mitglieder angewachsenen Turnverein
blieb angesichts der Raumprobleme nichts anderes übrig, als das Schwergewicht
des Vereinslebens auf die Abteilungen zu verlegen, was sich schon längere
Zeit vorher angedeutet hatte. Dies wiederum tat dem Zusammengehörigkeitsgefühl
unter den Mitgliedern Abbruch.
Mit dem Rücktritt des so verdienstvollen Oberturnwartes Philipp
Becker traf den Verein Anfang 1959 ein weiterer Schlag. Karl Faulstich
übernahm nun auch noch die Arbeit des Oberturnwartes, für den
erst 1962 mit dem Leiter der Turnabteilung, Günther Stieglitz, Ersatz
gefunden werden konnte. Für die Betreuung der Schüler, Schülerinnen
und Jugendlichen stellten sich Sissi Faulstich und Fritz Reitz jun. zur
Verfügung. Im Frühjahr 1961 musste schließlich auch noch
die einzig verbliebene Turnhalle der Meisterschule, wegen notwendiger Renovierungsarbeiten
geschlossen werden. Damit wurde die gesamte sportliche Betätigung
im Verein schwer beeinträchtigt. Nach eineinhalbjähriger Verbannung
in die Enge des Turnerheims für die Turn- und die Gymnastikabteilung,
in den kleinen Saal des »Frankfurter Hof« für die Tischtennisabteilung,
und in die Turnhalle der Adolf- Reichwein-Schule in Zeilsheim für
die Handballer, konnte erst am 1. Oktober1962 der Übungsbetrieb in
der Turnhalle der Meisterschule wieder aufgenommen werden, wenn auch unter
äußerst erschwerten Bedingungen. Ein Übungsabend in der
Woche musste an den Radfahrverein abgegeben werden, der früher im
»Mainzer Hof« trainiert hatte. Die Trainingsstunden des Turnvereins
wurden so auf ein Minimum eingeschränkt, obwohl die Nachfrage nach
sportlichen Aktivitäten in der Bevölkerung – zumindest bei den
Kindern - in den sechziger und siebziger Jahren deutlich zunahm, wie man
an der Entwicklung der Mitgliederzahlen ablesen kann:
In dieser misslichen Situation stand der Verein lange Jahre: Der Übungs-
und Spielbetrieb war z.T. über das gesamte Stadtgebiet verteilt.
Hinzu kam der ständig zunehmende Mangel an Übungsleitern,
um der wachsenden Nachfrage gerade im Kinderturnen Herr zu werden.
Das 90jährige Bestehen des Vereins im Jahre 1965 konnte eben wegen
dieser Umstände nur in kleinem Rahmen gefeiert werden. Damals startete
der Verein erstmals eine sog. „Sportwerbewoche“, die über mehrere
Tage hinweg sportliche und gesellige Veranstaltungen bot:
Sonntag, 27.6.65: 11 Uhr Totenfeier
13.30 Uhr Faustballturnier
Montag: Öffentliche Turnstunde und Fußballspiel
Handball gegen Tischtennis
Dienstag: Faustballspiele
Mittwoch: Tischtennis, Handball und Kaffeekränzchen
der Frauen
Donnerstag: Handball
Freitag: Leichtathletik und Tischtennistuirnier
Samstag: Leichtathletik für jedermann; Tischtennis-
und Handballturnier; abends Jubiläumstanz im Bürgergemeinschaftshaus
Sonntag: Handballturnier, abends Familienfeier im Gasthaus
„Zum Stern“
Am 20.9.1971 musste der Verein erneut einen schweren Verlust hinnehmen,
das Turnerheim fiel einer nicht geklärten Brandstiftung zum
Opfer. Für die Mitglieder des Vereins war dieses Heim mehr als 40
Jahre lang eine Stätte turnerischen Lebens gewesen. Ein Stück
Tradition des Vereins war damit zunächst ausgelöscht.
Ein weiterer Schicksalsschlag traf den Verein ein Jahr später.
Im Juli 1972 verstarb plötzlich und unerwartet der 2. Vorsitzender
Hans Scheh, der sich in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg um den Wiederaufbau
des Vereins außerordentliche Verdienste erworben hatte.
Mit dem Bau der Grundschule am Paul- Kirchhof-Platz wurde auch eine
zweite Turnhalle für die Gemeinde Sindlingen erstellt. Für den
Turnverein bot sich damit nur eine geringfügige Besserung in der Jahrzehnte
währenden Raumnot. Die zugewiesenen Trainingsabende in der neuen Halle
reichten aber nicht aus, um der bisherigen Misere in der Handballabteilung
ganz zu begegnen. Zwar konnten die Schüler- und Jugendgruppen der
Handballer in die neue Turnhalle einziehen, die Herrenmannschaften mussten
jedoch nach wie vor ihre Trainingsstunden in der Helene-Lange-Schule abhalten.
Die Festwoche des Turnvereins zum 100 jährigen Jubiläum
Eines der größten Feste, die Sindlingen je erlebt hat, war
sicherlich das 100jährige Jubiläumsfest des Turnvereins vom 25.
Mai bis zum 2. Juni 1975. Wie der damalige Schirmherr Erhard Bouillon in
der Festschrift betonte, war es in der Tat „ein Ereignis für alle
Sindlinger – über den Kreis der Mitglieder hinaus“. Unter der Leitung
des 1. Vorsitzenden Karl Faulstich hatte der Verein ein groß dimensioniertes
Fest vorbereitet. Allein 50 Ehrengäste und ca. 600 Ehrenausschuss-Mitglieder
verweisen auf die Bedeutung dieser Veranstaltung.
Die vorbereitenden Festausschüsse setzten sich wie folgt zusammen:
- Schrift und Werbung: Rolf Pickel, Paul Sender, Michael Sittig
- Finanzen: Arno Brunnhöfer, Heinz Kaiser
- Bau: Bodo Erbe, Werner Gerlach, Manfred Marscheider, Hans Scherf
- Wirtschaft: Alfons Schmidt, Friedrich Weber
- Programmgestaltung: Manfred Bocklet, Dr. Hans Brunnhöfer, Karl
Faulstich, Manfred Marscheider, Maria Ostheimer, Mädi Schmidt und
Günther Stieglitz
Traditionell begann die Festwoche mit Gottesdiensten in der katholischen
und in der evangelischen Kirche, an die sich die Totenehrung auf dem Friedhof
anschloss.
Am Freitag, dem 30. Mai, folgte dann der Festkommers im Festzelt am
Main, unter Mitwirkung der Ortsvereine (ein Gemeinschaftschor der Gesangvereine
„Arion“, “Germania“, “Meenzerhofgesellschaft“ und „Sängerlust“, dem
Harmonika-Orchester unter Alfred Geisel, der Garde des 1. Sindlinger Karnevalvereins)
und einer Riege des Turngaus Frankfurt. Anschließend war Tanz mit
der Kapelle „Maingold“ angesagt.
Der sportliche Teil beschränkte sich in der Festwoche auf ein
Handballspiel zwischen TV Sindlingen und dem Sportklub „Chateau-Chinon“
auf dem Sportplatz „Am Kreisel“. Vor über 250 Zuschauern endete übrigens
das Spiel 16 : 15 für die Jubiläumsmannschaft (Villmeter, Sittig,
Weikum, Schmidt, Blume, Tinkl, J. Bocklet, Ochs, Maldaner, Fribolin, Schmoll,
Hochhaus).
Doch bereits am Abend stand der „Große Bunte Abend“ auf dem Programm,
mit den Sängern Tony Marshall und Tina York, dem singenden Jongleur
und Meisterjodler Rolly Brandt und den Artisten Gitta Cennet und Lille
Rolf. Jonny Buchardt führte damals stimmungsvoll durch die Darbietungen,
die ein 3000-Personen-Zelt bis auf den letzten Platz füllten und zum
Jubeln brachten.
Am nächsten Morgen standen turnerische und musikalische Leistungen
auf dem Programm, die alle im Festzelt durchgeführt wurden. Am Nachmittag
folgte dann ein großes Kinder- und Volksfest (incl. Ballonwettflug),
ehe am Abend das Tanzorchester des Hessischen Rundfunks unter Georg Glas
für ausgelassene Stimmung sorgte,
Den vorläufigen Abschluss bildete der Frühschoppen am Montag
Morgen, mit Manfred Haar als Conferencier, Benny Maro als Sänger und
den „Rhöntalern“ als Musikgruppe.
In der Woche vom 23. – 31. August folgten dann zum Abschluss des Jubiläumsjahres
die sportlichen Wettbewerbe im Rahmen einer Sportwerbewoche.
Die TVS Entwicklung nach 1975
Eine feste Einrichtung ist seit dem Jubiläumsjahr die „Sportwerbewoche“,
die alljährlich – wenn auch inzwischen mit leichten Abänderungen
– in der Woche nach Pfingsten durchgeführt wird. Als Beispiel
möge hier das Programm für das Jahr 1982 dienen:
Dienstag, 1.6.: Wäldchesfest im Turnerheim
Mittwoch, 2.6.: Kleinfeldfußballturnier der Sindlinger Ortsvereine
auf dem Sportplatz am
Kreisel
(Dieses Turnier wird seit 1998 nach einigen unschönen Zwischenfällen
nicht mehr durchgeführt)
Donnerstag, 3.6.: Bunter Rasen: Übungsstunden aller Abteilungen
und Gruppen auf dem
Sportplatz: Turnen, Handball, Volleyball
20 Uhr: Jugend-Disco im Turnerheim
Freitag, 4.6.: Leichtathletische Wettkämpfe der Schüler
und Schülerinnen auf dem Sportplatz
Tischtennisspiele in der Meisterschule um den Karl-Faulstich-Pokal
abends: Gemütliches Beisammensein im Turnerheim
Samstag, 5.6. Kleinfeldhandballspiele der Damen und Herren/weibliche
Jugend/männliche
Jugend
abends: Gemütliches Beisammensein mit Musik und Tanz im Turnerheim
Sonntag, 6.6.: Volkstümlicher Wettkampf der Ortsvereine
14 Uhr: Volleyball-Mixturnier
19 Uhr: Siegerehrung für den volkstümlichen Wettkampf und anschließend
gemütliches Beisammensein
Ursprünglich wurden die sportlichen und gesellschaftlichen Veranstaltungen auf dem Sportplatz „Am Kreisel“ und im „Viktoriaheim“ durchgeführt, nach Aufarbeitung der Außenanlagen und Ausbau des Turnerheims jedoch wieder auf vereinseigenem Gelände.
Nur in Jahre 1991 wurde nach dem Fall der Mauer bei der Sportwerbewoche von dem traditionellen Ablauf abgewichen. Im Mittelpunkt stand nämlich der Besuch von 5 Mannschaften in den Sportarten Handball, Tischtennis und Volleyball aus dem sächsischen Mittweida und Grünlichtenberg, die mit 70 Personen für 3 Tage Gäste des Vereins waren. Es gab ein buntes Veranstaltungsprogramm, von Besichtigungen über sportlichen Wettstreit bis hin zu feuchtfröhlichen Abenden im Turnerheim.
Diese Aktivitäten hatten auch ausgesprochen positive Einflüsse auf die Mitgliederzahl. Während im Jubiläumsjahr der Verein 450 Mitglieder umfasste, stieg die Zahl zu Beginn der 80iger Jahre auf rund 650 Personen an. Erheblich dazu beigetragen hat auch die Gründung einer Volleyball-Abteilung durch Michael Sittig im Jahre 1978, die sich in den Folgejahren prächtig entwickelte.
In diesem Jahr trat der langjährige Vorsitzende Karl Faulstich
von seinem Amt zurück, das er seit 1958 begleitet hatte. Er hatte
sich über viele Jahrzehnte für seinen Verein mit vollem Engagement
eingesetzt, er hatte dem TVS – besonders in schweren Jahren – ein Fundament
geschaffen, ohne das der Verein bei weitem nicht seine Stärke hätte
erreichen können. Für seine aufopfernde ehrenamtliche Tätigkeit
wurden ihm viele Ehrungen zuteil, u.a. wurde er 1978 auf Vorschlag seines
Nachfolgers im Amt des 1. Vorsitzenden, Manfred Bocklet, zum Ehrenvorsitzenden
ernannt, 1994 erhielt er den Ehrenbrief des Landes Hessen.
1979 wurde das Mutter- und Kind-Turnen mit großem Erfolg von Günther Stieglitz aus der Taufe gehoben. Dieses Angebot ist auch im Jahre 2000 nicht aus dem Turnangebot des TV Sindlingen wegzudenken. Über diese Veranstaltung wird ein erheblicher Teil der Neumitglieder gewonnen. Die Betreuung wurde dann von Anneliese Thum und später von Renate Geißler fortgeführt. Seit vielen Jahren kümmert sich Ingrid Sittig, teilweise unterstützt durch Monika Winter, mit großem Engagement um die kleinsten Vereinsmitglieder.
Seit 1979 ist auch ein Dankeschön-Abend für alle Übungsleiter und Helfer in den Abteilungen und dem Gesamtverein eine traditionelle Veranstaltung. Ein solcher Abend soll nicht nur die engagierten Helfer, ohne die ein Verein nicht existieren kann, zusammenführen, sondern soll Dank und Anerkennung für die geleistete Arbeit in unserem Verein ausdrücken.
Die achtziger Jahre
Im Jahre 1978 übernahm Günther Stieglitz zusammen mit Manfred
Bocklet (bis 1982) und Arno Brunnhöfer (bis 1984) die Leitung des
Turnvereins. In den Folgejahren fungierten Albrecht Fribolin (1982 –1984),
Walter Schmoll (1984 – 1985), Wilfried Kastner (1985 – 1988) und erneut
Karl Faulstich (1988 – 1990) jeweils als 2. Vorsitzende. Die Kassenführung
wurde 1984 von Alfons Schmidt begleitet. Ein wichtiges Ziel der Amtsführung
von Günther Stieglitz war, dem Turnverein durch Ausbau des Turnerheims
eine Heimstätte für die Durchführung gesellschaftlicher
Veranstaltungen zu schaffen. Ein wichtiger Schritt hierfür war der
Zukauf zweier angrenzender Grundstücke mit insgesamt 487 m2
von der Hoechst AG im Jahre 1982. Dieser Geländegewinn bot die Voraussetzung
für die Erweiterung des Turnerheims und den weiteren Ausbau der bereits
bestehenden Sportanlagen auf dem Turngelände. Die Finanzierung der
Erweiterung des Turnerheims wurde sorgfältig geplant und in langjähriger
Vorarbeit durch Zuschüsse sichergestellt.1982 wurden in Eigenhilfe
Erdarbeiten in einer Länge von 105 m für die Verlegung einer
Gas-, Wasser- und Entwässerungsleitung sowie für einen Telefonanschluss
durchgeführt. Eine wichtige Voraussetzung für die Benutzung der
Räumlichkeiten war der Einbau einer modernen Heizung, die noch vor
Winteranfang 1983 in Betrieb genommen werden konnte. Bis März 1984
wurden die ehemaligen Geräteräume unter Einbeziehung des zugekauften
Geländes zu einem Clubraum, einem Ausschank und einer Küche umgebaut,
auch eine Toilettenanlage wurde eingebaut. Ein überdachter und nach
außen umbauter Vorbau, der besonders für die Nutzung in den
Sommermonaten geeignet ist, komplettierte den Umbau. Ergänzt
wurde die für gesellschaftliche Veranstaltungen hervorragend geeignete
Infrastruktur durch eine von Dieter Welz gestiftete Grillhütte
mit zusätzlichen Abstellmöglichkeiten, Ein mit passender Außenfassade
versehener Bauwagen ergänzt den bebauten Turnerheimkomplex. All dies
geschah in sehr vielen Stunden ehrenamtlicher Tätigkeit, in die alle
Abteilungen eingebunden waren. Besonderer Einsatz wurde durch die Trimm-Dich-Gruppe
und die Indiaca-Gruppe geleistet.
Diese für einen Verein ausgezeichneten Voraussetzungen für
die Durchführung von Veranstaltungen werden intensiv von den einzelnen
Abteilungen und dem Gesamtverein in Anspruch genommen. Die Anlage steht
sowohl TVS- Mitgliedern als auch anderen Vereinen und anderen Interessenten
zur Nutzung zur Verfügung. Betreut wurde das Turnerheim von1978 bis
1996 von Alfons und Mädi Schmidt und danach von Irene und Klaus Dawo.
Dieses vorbildliche Betreuungsengagement stellt eine besondere Stärke
des Vereins dar.
1982 wurde erstmals auf Initiative von Hans Scherf eine Seniorenfeier durch Mädi Schmidt ins Leben gerufen. Dieses Treffen der Senioren fand sogleich großen Anklang und ist auch heute noch eine außerordentlich wichtige Veranstaltung im Vereinsleben, nach wie vor von Mädi Schmidt auf unnachahmliche Weise organisiert.
Als 1983 in Frankfurt am Main das Deutsche Turnfest mit 70.000 Teilnehmern stattfand, hatte der TV Sindlingen die Aufgabe, 450 Sportler aus dem Saarland zu betreuen. Die Sportler wurden vom Bahnhof Sindlingen mit einem Spielmannszug durch den Stadtteil zu den Schulen geleitet, in denen die Unterbringung erfolgte. Eine hervorragende Organisation für die Verpflegung der Teilnehmer führte zu freundschaftlichen Banden.
Eine Überarbeitung der Vereinssatzung konnte endlich im März 1984 in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung verabschiedet werden. Diese Satzung war über einen langen Zeitraum Streitpunkt zahlloser Vorstandssitzungen.
Im Rahmen der Sportwerbewoche 1989 fand die Fahnenweihe der neuen Vereinsfahne in der Kirche St. Dionysius unter der Mitwirkung des Arion-Chors statt. Anschließend wurde die geweihte Fahne unter Beteiligung des Spielmannszuges der Freiwilligen Feuerwehr Okriftel und einer großen Zahl von Vereinsmitgliedern zum Turnerheim geleitet. Diese Fahne fand zusammen mit der alten Fahne, die im gleichen Jahr 100 Jahre unseren Verein begleitet hatte, ihren Ehrenplatz im Clubraum des Turnerheims.
Die neunziger Jahre
Im Jahre 1990 trat der gesamte geschäftsführende Vorstand mit Günther Stieglitz, Karl Faulstich und Alfons Schmidt zurück, die den Turnverein über viele Jahre geprägt und mit großem Engagement geführt hatten. Es war nicht leicht, dieses gut eingespielte Team zu ersetzen. Schließlich erklärten sich Prof. Hans Brunnhöfer, Michael Sittig und Thomas Vernaleken bereit, die Geschäftsführung des Vereins zu übernehmen. Günther Stieglitz wurde aufgrund seiner großen Verdienste für 25 Jahre Vorstandsarbeit und 10 Jahre Vereinsvorsitz zum Ehrenvorsitzenden ernannt. Zu diesem Team stieß 1994 noch Renate Geißler, die das Amt der 1. Kassiererin übernahm.
Ziele des neuen Vorstandes waren, den Sportbetrieb zu intensivieren und auch die Information über das Vereinsleben auszubauen. Dazu wurde 1990 erstmals eine Vereinszeitschrift herausgegeben, die in einer Auflage von 1000 und später von 4000 Exemplaren an alle Sindlinger Haushalte verteilt wurde. Ein Namenswettbewerb in der 1. Ausgabe führte schließlich zur Bezeichnung „Pepperoni“. Diese Informationszeitschrift erscheint inzwischen in einem Umfang von 32 Druckseiten im 10. Jahrgang, üblicherweise zweimal jährlich. Die „Pepperoni“ hat sich als gut aufbereitetes Medium zur Präsentation des Vereins bewährt.
1991 und 1992 wurde jeweils ein Frühlingsfest im Gemeindezentrum
St. Dionysius mit einem abwechslungsreichen Programm unter starker Beteiligung
der Abteilungen und bei großer Besucherresonanz veranstaltet, gefolgt
von einem Sommerfest im Jahre 1993 im Turnerheim. Ab 1994 firmierten vergleichbare
Veranstaltungen unter der Bezeichnung „Turnerheimfest“.
In den 80iger und 90iger Jahren wurden neben Karl Faulstich weitere
4 Vereinsmitglieder für ihre besonderen Verdienste für den Turnverein
Sindlingen mit dem Ehrenbrief des Landes Hessen ausgezeichnet:
Mädi Schmidt (1987)
Günther Stieglitz (1992)
Alfons Schmidt (1992)
Paul Jung (1993)
Der Turnverein, die Stadt und das Geld – eine leidliche Geschichte
Die 90iger Jahre waren gekennzeichnet durch starke Belastungen der Vereine
durch die Stadt Frankfurt. Zunächst wurden 1993 die Sportförderungsmittel
gesenkt und die Richtlinien für die Sportförderung mit dem Ziel
geändert, dass eine Beteiligung der Vereine an der Unterhaltung und
Pflege von Anlagen und an den Mietaufwendungen für überlassene
Einrichtungen eingeführt wurde. Der Magistrat der Stadt Frankfurt
hatte am 16.12.1993 mit unmittelbarer Wirkung zum 1.1.1994 beschlossen,
die Vereine mit Mietkosten von 30 DM pro einzelner Trainingseinheit (=1,5
Stunden in Sporthallen, 2 Stunden in Turnhallen) in städtischen Sport-
und Turnhallen zu belasten. Für den Turnverein Sindlingen bedeutete
dies für die Nutzung von 7 Hallen eine schlagartige Kostenbelastung
von zusätzlich rund 35.000 DM pro Jahr. Diese Kostenlawine war zu
diesem Zeitpunkt vom Betrag her höher als das jährliche Beitragsaufkommen.
Die Konsequenz war, dass die Mitgliedsbeiträge bei den Aktiven verdoppelt
werden mussten, um die Kostenerhöhung einigermaßen abfangen
zu können. Als Folge dieser Erhöhung kündigten rund 10 %
der Mitglieder ihre Vereinszugehörigkeit auf. (Dabei ist zu erinnern,
dass die Stadt früher die Turnhallenbenutzungsgebühren fast vollständig
übernommen hatte!)
Doch der nächste Anschlag der Stadt Frankfurt auf die Sportvereine
ließ nicht lange auf sich warten. 1994 traf trotz der von Sportdezernentin
Schenk versprochenen Planungssicherheit für die Vereine ein Schreiben
vom Sport- und Badeamt ein, in dem eine Änderung der Trainingseinteilung
in Schulturnhallen angekündigt wurde. Ein Trainingsabend sollte von
bisher 2 Trainingseinheiten (2x2 Stunden) in zukünftig 3 Einheiten
(3x1,5 Stunden) aufgeteilt werden. Das bedeutete im Klartext, ein Trainingsabend
kostete damit anstelle von bisher 60 DM nun 90 DM. Mit diesem „trickreichen
Beschluss“ sollten die Vereine weiter und ohne Vorwarnung zur Kasse gebeten
werden. Der TV Sindlingen setzte sich zusammen mit vielen anderen Vereinen
vehement dagegen zur Wehr, dieser Widerstand hatte jedoch nur kurzfristigen
Erfolg. Mit Verzögerung wurde die Umsetzung dann doch vollzogen. Das
Ergebnis war, dass die Vereine gezwungen waren, ihr sportliches Angebot
aus Kostengründen noch weiter zu reduzieren. Darüberhinaus wurden
Zuschüsse an die Sportvereine weiter deutlich gekürzt. Die Sonntagsreden
über eine „sportfreundliche Stadt Frankfurt“ waren nur noch Makulatur.
Diese Situation war und ist für den TVS besonders nachteilig,
weil die Vereine im angrenzenden Main-Taunus-Kreis bis heute keine derartigen
Belastungen erfahren mussten.
Doch den Frankfurter Sportvereinen blieben weitere Belastungen nicht
erspart. Obwohl sie kräftig für die Nutzung der städtischen
Sportstätten zur Kasse gebeten wurden, war nicht einmal mehr die geregelte
Durchführung von Verbandsspielen in Frankfurt möglich. So weigerten
sich die Hausmeister von Schulturnhallen nach Kürzung ihrer Vergütungen
durch die Stadt Frankfurt, ab dem Jahre 1996 den Vereinen an Wochenenden
die Nutzung der Hallen zu ermöglichen. Das bedeutete, dass zahlreiche
Heimspiele von Frankfurter Vereinen nicht mehr in Frankfurt ausgetragen
werden konnten. So war es z.B. nur dank persönlicher Kontakte unseren
Volleyballern möglich, ihre Heimbegegnungen zu einem verschobenen
Zeitpunkt überhaupt auszutragen, und zwar in Hallen in Groß-Gerau
und Schwalbach. Wohl kein Ruhmesblatt für die Frankfurter Sportförderung!
In den folgenden Jahren mussten die Heimspiele unserer hochklassig spielenden
Volleyball-Damen im Gutleutviertel oder in Fechenheim ausgetragen werden.
Die Handballer „profitierten“ ebenfalls von der „vorbildlichen“ Sportförderung
der Stadt Frankfurt. Sie durften einen Großteil ihrer Heimspiele
in der Stadionhalle in Niederrad, in Sachsenhausen oder Griesheim austragen,
weil man aus nicht nachvollziehbaren Gründen die vielfach freistehenden
Saalbau-Hallen im Frankfurter Westen nicht belegen durfte. Dies bedeutete
insbesondere für unsere Schüler- und Jugendmannschaften eine
erhebliche zusätzliche Belastung. Insgesamt gehörte schon viel
Durchhaltevermögen dazu, den Dauerfrust zu überstehen.
Sindlingen und die Sporthalle
Das letzte Vierteljahrhundert wurde in erheblichem Maße von der Diskussion über den Bau einer Sporthalle in Sindlingen geprägt. Die Situation an überdachten Sportstätten im Frankfurter Westen war insgesamt schlecht, insbesondere jedoch in Sindlingen. Das zeigte sich darin, dass der Turnverein Sindlingen seine Trainingsaktivitäten in den beiden kleinen Sindlinger Turnhallen und in 5 weiteren Hallen in Höchst, Unterliederbach, Nied und Zeilsheim durchführen musste. An eine Weiterentwicklung und Ausweitung des sportlichen Angebots war überhaupt nicht zu denken. Schon Anfang der siebziger Jahre wurde den Sindlingern eine Sporthalle versprochen. Als dann die Grundschule Nord (heute „Ludwig-Weber-Schule“) geplant wurde, waren sogar auf dem Bauplan die Errichtung einer kleinen, mittleren und großen Sporthalle mit internationalen Maßen vorgesehen. Die kleine Halle wurde gebaut, dann stellte man „überrascht“ fest, dass man nicht genügend Kinder für die geplante (Sekundar-)Schule hatte. 1989 schien dann endlich das Ziel erreicht zu sein: Vor der Kommunalwahl wurden den Sindlinger Vereinen von dem damaligen Oberbürgermeister Brück sogar Pläne und Modelle der geplanten Sporthalle am Sindlinger Kreisel vorgestellt. Die Realisierung dieses Projektes wurde als problemlos geschildert und der Baubeginn für Sommer 1990 angekündigt. Auch vom damaligen Oberbürgermeisterkandidaten Hauff wurde öffentlich ein deutliches Bekenntnis zur Sindlinger Sporthalle abgegeben. Dem TV Sindlingen liegt sogar ein persönlich an den Verein gerichtetes Schreiben von Volker Hauff mit der definitiven Zusage für den unmittelbaren Bau der Sporthalle vor. Nach dem politischen Wechsel in Frankfurt wurde mehrfach die unmittelbare Umsetzung der Hallenpläne angekündigt und Fortschritte herausgestellt. Dann wurde sogar mitgeteilt, dass die Sporthalle vom Magistrat genehmigt sei, die Mittel im Haushalt 1991 eingeplant seien und dementsprechend in diesem Jahr mit dem ersten Spatenstich zu rechnen sei. Ungläubiges Kopfschütteln rief dann die Mitteilung des Magistrates hervor, dass das Sportgelände zu den schützenswerten „Mainauen“ gehöre und damit nicht bebaut werden könne. Die Herausnahme des Sindlinger Sportplatzes aus dem Areal der Mainauen wurde dann wohl auch nur halbherzig betrieben, nachdem die Realisierung einer Sporthalle durch die Stadt Frankfurt aus finanziellen Gründen immer unwahrscheinlicher wurde.
Dann tat sich doch noch überraschend eine Chance auf, in Sindlingen zu einer Sporthalle zu gelangen. 1994 wurde in einer Podiumsdiskussion im Bürgerhaus Sindlingen über den Stand der Planungen für den Bau der Internationalen Schule Frankfurt-Rhein-Main (ISF) in Sindlingen auf dem Gelände westlich der Ludwig-Weber-Schule informiert. Die Schule selbst nahm im September 1995 den Schulbetrieb zunächst noch in der Innenstadt auf, um dann nach Abschluss des Schulbaus nach Sindlingen umzusiedeln. Sehr hilfreich war, dass der Vorstand über die Geschäftsführung der ISF Einfluss auf die Hallenmarkierungen nehmen konnten, um die Halle auch für sportlichen Zwecke des Turnvereins vollwertig nutzen zu können. Im Oktober 1998 wurde dann der Schulbetrieb in Sindlingen aufgenommen, die Inbetriebnahme der Sporthalle und der Schwimmhalle erfolgte im Januar 1999, die Fertigstellung des Fußballfeldes und der Leichtathletikanlagen soll im Laufe des Jahres 2000 abgeschlossen werden. Erfreulich ist, dass die ISF den Vereinen des Stadtteils die sportlichen Anlagen nach Schulschluss und an Wochenenden zur Verfügung stellt. In dem im August 1997 geschlossenen Erbbauvertrag zwischen der Stadt Frankfurt und der ROSEA Grundstücks-Vermietungsgesellschaft ist folgende Vereinbarung getroffen: „Zwischen Grundstückseigentümer und Erbbauberechtigtem besteht Einigkeit darüber, dass die Sportanlagen innen und außen sowie die Aula von Vereinen, vorrangig von solchen aus dem Stadtteil Sindlingen, genutzt werden können.“ Die Sporthalle wird seit Februar 1999 von den Abteilungen Handball, Volleyball und Tischtennis sowohl für Trainingszwecke als auch für den Spielbetrieb genutzt. Das bedeutet für den Verein eine wesentliche Verbesserung der sportlichen Rahmenbedingungen, auch wenn es in der Anfangsphase einige Probleme gab und auch heute noch gibt. Der fehlende Übungsraum war zur Zeit des 100jährigen Jubiläums das Hauptproblem des Vereins, dieses Problem ist nun nach weiteren 25 Jahren endlich beseitigt.
Der TV Sindlingen hat sein sportliches Angebot inzwischen weiter ausgeweitet. Am 19.11.1997 wurde im Turnerheim in einer Gründungsversammlung eine Judoabteilung aus der Taufe gehoben. Die Abteilungsleitung wurde vom Trainer Roland Wirth übernommen. Ausgangspunkt für diese Gründung war, dass die Judoabteilung des Polizeisportvereins Grün-Weiß-Frankfurt, die eine Sektion in Bockenheim und in Sindlingen unterhielt, sich vom Hauptverein getrennt hatte. Der Turnverein Sindlingen erklärte sich sofort bereit, interessierten Judokas eine Heimstätte zu bieten. Vom Vorstand wurden die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Etablierung der neuen Abteilung geschaffen, u.a. durch den Neukauf von Judomatten und Anmietung der Turnhalle. Die Abteilung, die bisher ausschließlich Schülerinnen und Schüler betreut, hat eine sehr positive Entwicklung sowohl in Bezug auf die Mitgliederzahl als auch bei den errungenen Erfolgen genommen.
Der Turnverein kann im Jubiläumsjahr auf eine insgesamt erfreuliche
Weiterentwicklung zurückblicken. Hatte der TVS beim 100jährigen
Jubiläum 450 Mitglieder, so ist diese Zahl inzwischen auf rund 730
gewachsen, fast die Hälfte davon Schüler und Jugendliche. Gerade
dieses jugendliche Potenzial lässt die Vereinsführung hoffnungsvoll
in die Zukunft blicken.
Dieter Frank